Rezensionen

Trespass #1-5

Das Gegenteil aller Betretungsverbote: Diese Heftreihe öffnet Tür und Tor für den Leser, lädt mit offenen Armen zum Schmökern ein und weiß gastfreundlich zu unterhalten. Frühzeitig gehen, will dadurch sicherlich niemand.

Seit die fünfte Ausgabe des Trespass meinen Briefkastenschlitz passiert hatte, bin ich der hessischen Fußballliteratur verfallen. Allein die Tatsache, dass in einer Rezension alle bisherigen Ausgaben abgehandelt werden, dürfte für die Qualität des vor mir liegenden Wälzers bürgen und zugleich einen digitalen Papierberg schaffen. Auch wenn ich dieses Unterfangen chronologisch angehe, können sich die Elemente mitunter in allen Exemplaren wiederfinden, schließlich überzeugen die Autoren stets durch ihre Stilexperimente, witzige Vergleiche sowie interessante Informationen zur Kultur und den besuchten Vereinen. Ich würde behaupten, kein anderes Groundhopping-Heft ist literarisch derart wertvoll, unterhaltsam und gespickt mit feinstem Humor.

#1: Geisteskranker Anfang

Bei allem Lob für das Gesamtwerk war dennoch eine positive Entwicklung notwendig, die unter anderem direkt auf dem Titelblatt sichtbar wird. Die „14 Länder, 43 Spiele“ der Erstausgabe auf nahezu farblosen 98 Seiten sind im Vergleich zu späteren Machwerken noch schlank wie eine ukrainische Bachstelze zur Paaarungszeit. „Nach Weisheit gesucht, Geisteskrankheit gefunden“: Während die oftmals zu schwarzen, zu kleinen und manchmal leidlich vermissten Fotos die Aufmachung doch sehr beeinträchtigen, wird die Lust auf die folgenden Seiten schon beim Eröffnungszitat entfacht und spätestens dann weiter befeuert, als der Schiedsrichter einer süditalienischen Partie einen Spieler mit einer „astreinen Grätsche“ umhaut.

Spiele auf dem „Stiefel“ werden im weiteren Verlauf zwar die Mehrheit stellen, doch abseits vom „Derby della capitale“, wo der Inhalt des Geldbeutels unter anderem gegen „drei blinkende Sonnenbrillen, zwei geräuschgebende Tierschlüsselanhänger und sechs Rastaaarmbändchen“ getauscht wurde, sind die Höhepunkte eher in Spielberichten anderer Länder zu finden. Neben den Derbies in Belgrad und Mostar, als der Autor „nachts noch die Glückssau gebumst hatte“, konnte ich vor allem zwei absolute Perlen ausmachen.

Zum einen wäre dies die Reise nach Marokko, wo im Verkehr der Medina mit dem Mietwagen „heißer Draht“ gespielt und unter anderem das Finale der Klub-WM zwischen San Lorenzo und Real Madrid besucht wurde. Zum anderen ist dies – für Leser und Schreiberling wohl gleichermaßen überraschend – das ukrainische Pokalfinale. Selbst der Social-Media- und Alkoholaffine Tarkan hätte wohl kaum mit dem „Keyser-Soze-Effekt“ zum Ende des Spiels gerechnet. Trotz aller Vorschusslorbeeren bleibt die erste Ausgabe stilistisch jedoch eher konventionell, einzig die eingebauten Filmandeutungen im Liechtenstein-Text sowie ein Zahnlosenbesuch in Form eines Tagebucheintrags geben einen Ausblick auf das kommende Schaffenswerk.

Eine schlanke Ostblockschönheit.

#2: Ausgabe Augenkrebs

Ich bin ein Lügenbold! Obwohl die zweite Ausgabe nicht gelesen wurde, habe ich dennoch eine Rezension der gesamten Reihe versprochen. Der Grund ist recht simpel, schließlich ist diese nicht mehr käuflich zu erwerben, dafür aber online kostenlos lesbar – zumindest für euch. Ich bekomme beim Lesen am Computer oder Smartphone gepflegten Augenkrebs und das gleiche Entspannungsgefühl wie beim Printprodukt stellt sich bei mir auch nicht ein. Ich vertraue deshalb auf die Selbsteinschätzung der Redakteure, die das „20 Länder, 51 Spiele“ beinhaltende Heft als Schriftstellerisch noch nicht auf dem Niveau der Folgeeditionen, aber durchaus als lesbar bezeichnen.

Geschildert werden von den bescheidenen Herren unter anderem der Spielabbruch bei PAOK gegen Olympiakos, die Rückkehr der Bad Blue Boys gegen Hajduk Split und Vogelerkundungen im costa-ricanischen Dschungel. „Zwischen Testspieltristesse und Champions League, zwischen Langeweile und Spielabbruch, zwischen Liebesurlaub und Selbstzerstörungstour, zwischen Zweitvertretungsduellen und Balkanderbys, zwischen Italienromantisierung und Offenbachgedisse […] sollte also für jeden Geschmack etwas dabei sein.“

#3: Komm und schnapp sie dir!

„Pyro! Analsex! Pokémon!“ Der Nachfolger legt eine Schippe drauf. Nicht nur ist die dritte Ausgabe bedeutend humorvoller als das Erstlingswerk, auch die stilistischen Experimente nehmen in gleichem Maße wie die lustigen Wie-Vergleiche zu. „Hört sich pathetisch oder geschwollen an? Mag sein, es ist aber wie bei der Sendung mit der Maus einfach so.“ Einen Vorgeschmack bietet gleich zu Beginn ein Auswärtsspiel der „Kogge“ im Niemandsland, das Besucher und Leser von der Dunkelheit ins Licht führt – eine Erfahrung die allegorisch für das Erscheinungsbild des Hefts stehen könnte. Immerhin finden sich, nach der Premiere in Ausgabe 2, erneut farbige Fotos im Inneren wieder. Diesen wird zudem eine größere Fläche eingeräumt und die Einbindung in das Layout ist kaum zu vergleichen mit den ersten Gehversuchen. Ein Lichtblick!

Inhaltlich bin ich ebenfalls Feuer und Flamme: So erfahre ich in einem der unzähligen Italienberichte nicht nur, dass die „Intensität der Gesänge in direktem Zusammenhang mit der Feuchtigkeit der Haut steht“, sondern werde zwischen Knallerspielen in Stockholm, Bukarest und Lyon sowie dem Pokalfinale in Polen stets auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. So trieb es die hessischen Pokémon-Trainer auf den 155 Seiten nicht nur in die Stadt der Traumatos, wo sie von blutjungen Mädchen auf Wienerisch nach den Erfolgen bei der Elektek-Jagd befragt wurden, nein, auch ein angewiderter Bericht über den TSV Steinbach und die Stimmungskanonen im Block A4 Sandhausen finden sich unter den 54 Spielen in 19 Ländern wieder. „So stelle ich es mir in Mainz vor.“

Da die sonst ausschweifend, spannend und anschaulich beschriebenen Reiseerfahrungen beim Besuch auf Malta eher zu kurz kommen, sind die „Exoten“ der Ausgabe mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuba und einer erneuten Tour nach Marokko schnell gefunden. Allen voran der Urlaub im „größten Automobilmuseum der Welt“, der ehemaligen Heimat von Fidel Castro, macht für mich den Charme dieser Ausgabe aus. Auch wenn sich die besuchten Fußballspiele dabei in Grenzen halten, erfährt man dafür umso mehr über das Leben vor Ort und die Geschichte des Landes. Wie immer kann ich in diesen Belangen ein Lob für die Ausgewogenheit des Trespass ausstellen!

Das Cover ziert ein kubanischer Pokémon-Sammler.

#4: Was für 1 Stil!

Der Aufmachung wird in der vierten Ausgabe weniger Ehre zu Teil, dafür glänzen die Beiträge mit meist überragenden, manchmal fragwürdigen Überleitungen – „der Überleitungsgott ist zurück“. Ob die Auferstehung nun vergessen lässt, dass die 141 Seiten im Inneren wieder schwarz-weiß sind sowie die Visualisierung des Textes an manch wichtiger Stelle ausbleibt, könnt ihr selbst entscheiden. Immerhin wissen die Autoren, dass die Zahlen bis zwölf ausgeschrieben werden, was 1 Vergnügen vong journalistischem Aspekt her ist und probieren sich etwa im Zuge eines dreiaktigen Dramas weiterhin stilistisch aus – allerdings enthält dieses paradoxerweise nur epische Elemente.

Enthalten sind insgesamt Berichte von 57 Spielen in 20 Ländern, die vom Sofiaderby bis zur Bratwurstrezension bei Borussia Hildesheim das ganze Spektrum fußballerischer Eindrücke abdecken. So läuft man etwa Nottingham Ebby über den Weg, spottet über Kunstrasenplatz spottende Engländer, während wenige Seiten zuvor ein Heimspiel von Schott Mainz besucht und ein Trinkgelage mit dem Capo der Ultras Piacenza aus Angst vor einer Schießerei abgebrochen wurde. Nur um anschließend im Eins gegen Eins mit einem Buchsbaum den Kürzeren zu ziehen und ausgenockt auf dem Asphalt zu landen. Das Foto hierzu ist weltklasse. Leider „gibt es keine heißen Fickgeschichten“, wobei die Schilderungen der Partnerreisen trotzdem stets sympathisch bleiben und mitunter förderlich für den Komikgehalt sind. Abgerundet wird dies durch die ironischen Anmerkungen und Pöbeleien der Korrektur.

Auf der Suche nach dem Highlight der Ausgabe könnte ich zunächst die Reise nach Tunesien nennen, wo der Autor am dritten Tag bereits vor seiner „dritten Fastschlägerei“ stand und sich die körperliche Ausseinandersetzung schließlich im Stadion verwirklichte. Exotischer ist mit Sicherheit der Bericht über Südafrika, Lesotho, Botswana und Swasiland, welcher mit allerhand interessenten Informationen über Flora und Fauna sowie den „Supertyp“ König Mswati III. gespickt wurde. Den Spitzenplatz nimmt jedoch erneut ein nordafrikanisches Land ein: „Algerien also. Alles Terroristen – was will man da?“. So lässt sich beim MC Alger, außer dem besten Bericht und den einzähnigen Schlunden der Einheimischen, der einzige Algerier finden, „der Wert auf Zahnhygiene legt“. Zudem konnten Top-Spiele mit einer „Nettospielzeit von sechs Minuten und 28 Sekunden“ samt Pyroinferno, Gastfreundlichkeit auf der Auswechselbank sowie der „Vodoopriester“-Capo der „Burkina Fasanen“ auf Auswärtstour bewundert werden.

Kann der Mangel an Fickgeschichten kompensiert werden?

#5 Minderjährige Bitches

Laut den Schreiberlingen kommen „Freunde des Derby- und Krawalltourismus“ auf den 277 Seiten der neusten Ausgabe weniger auf ihre Kosten, dafür sind die Fotos aber Gott sei Dank wieder in Farbe und ordentlich ins Layout integriert! Das Aufmacherbild für die USA-Reise ist gar das Schönste, was bisher fabriziert wurde und der längere Bericht deutlich besser als das Land ansich. „Booty Shakes minderjähriger Bitches wechseln sich mit kitschigsten Heiratsanträgen übergewichtiger Fast Food Junkies ab, Kinder sind aufgedrehter als bei der weihnachtlichen Bescherung und scheinbar seriöse Erwachsene erleben ihren wöchentlichen Höhepunkt nicht im Bett mit ihrem unbefriedigten Ehegatten, sondern auf der Leinwand in irgendeiner Sportarena.“ Es ist eben, wie es ist.

Außerdem finden sich unter den 76 Spielen in 20 Ländern wieder einige Kracher aus Italien ein, darunter auch der literarische Geschlechtsakt, welcher der Partie Bari gegen Foggia gewidmet wurde. Stilistisch expermentiert der Literat, der weiß was ein Oxymoron ist, ohnehin so viel wie nie zuvor. Egal ob Top-5-Listen, die Gegendarstellung zum Besuch des TSV Steinbach aus Ausgabe 3, ein Text, der aus unterschiedlichen Fanzinetiteln zusammengezimmert wurde oder die Bündelung in der Kategorie „Wie, du warst noch nicht in…?“, für jeden ist etwas dabei. Sogar für die Fans der Frankfurter Eintracht: Wurde in Ausgabe 1 noch erwähnt, dass Spiele des „eigenen“ Vereins konsequent ausgelassen werden, hat es nun ein längerer Bericht über die Erlebnisse rund um den Pokalsieg der SGE ins Heft geschafft. Normalerweise sind solche Berichte ein Ausschlusskriterium für mich, doch in diesem Fall handelt es sich um einen derart guten Einblick in das chaotische, emotionale Innenleben am Spieltag, dass ich sogar von einer Sternstunde der Ausgabe sprechen mag.

Darüber hinaus gibt es zwar viel zu erfahren, etwa der Grund „warum sich #metoo nie durchsetzen wird“, wie ein Passierschein A38 am Flughafen in Kuwait beantragt wird und wieso Kim Jong-un eine Pöbeleskapade vor der libanesischen Miliz anführt, doch übertroffen wird das Pokalfinale nur von zwei Berichten. Einerseits von der Vorentscheidung im Meisterschaftskampf des KF Shkëndija gegen Vardar Skopje, andererseits mit der erneut flora- und faunalastigen Reise durch Kenia und Ruanda. Der dafür angeheurte „real experienced driver“ war allerdings eher mit Dummheit als dem notwendigen „Suizidgedanken“ gesegnet und scheiterte somit mehr am Straßenkrieg als die im Urlaub befindlichen Weißbrote. Lasst wenigstens ihr euch keine Dummheit attestieren und kauft alle Ausgaben des Trespass, es lohnt sich!

Die Top 5 der örtlichen Ultra-Bewegung.